In Südalgerien, im Bereich der „Gräberpiste“, sind im Frühjahr 2003 einige Reisende aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Holland und Schweden entführt und zum Teil über mehrere Monate in Geiselhaft genommen worden.
Auch wir hielten uns in diesem Gebiet auf – glücklicherweise schon im Sommer 2002. Glücklicherweise deshalb, weil wir genauso ahnungslos und ohne jegliche Vorwarnung in die Falle gefahren wären. Diejenigen, die ihre Entführung lebend überstanden haben, sollen nun neben den schlimmen Erlebnissen obendrein auch noch zur Kasse gebeten werden.
Nicht wenige Politiker und Journalisten stellen in den Medien stellvertretend für den „rechtschaffenen Staatsbürger“ die immergleiche Frage: Sollen Geiseln nach ihrer Befreiung an den Kosten beteiligt werden?
Die Frage ist an und für sich gar nicht so schlecht, zielt sie doch durch die allgemeine Formulierung nicht nur auf die „Sahara-Geiseln“ sondern auf alle Opfer, die gezielt oder zufällig in die Hände von Gangstern zum Zweck der (Lösegeld) Erpressung fallen. Kosten für die Befreiung fallen fast immer an. Nur wird wohl kaum jemand ernsthaft die abstruse Forderung aufstellen, dass die befreite Geisel z. B. eines Bankräubers sich auch noch an den Kosten der Befreiungsaktion beteiligen soll.
Nicht so bei den „Sahara-Geiseln“. Hier gilt plötzlich die Vernunft und das Solidaritätsprinzip nichts mehr. Auf die bei einer Umfrage gestellte Frage „sollen Geiseln nach ihrer Befreiung an den Kosten beteiligt werden?“ lautete eine der angebotenen Antwortmöglichkeiten: „eine Geiselnahme ist schlimm genug, wer so etwas überstanden hat, sollte nicht noch mit Rechnungen überhäuft werden“. Diese fand aber kaum Zustimmung. Nicht so die andere Antwortmöglichkeit: „wer sich wissentlich in gefährliche Gebiete begibt, muss damit rechnen, später zur Kasse gebeten zu werden“, sie wurde massenhaft unterstützt.
Dabei ist die letztgenannte Antwort auf die in der Überschrift formulierte Frage in höchstem Maße populistisch und im Bezug auf die Sahara-Geiseln (auf die sich die sehr allgemein gehaltene Frage in Wahrheit bezieht) schlichtweg falsch.
Würden die selbsternannten Richter sich die Mühe machen, in dieser Sache etwas genauer zu recherchieren, wüssten sie, dass die erfahrenen und bestens ausgerüsteten „Sahara-Geiseln“ keinesfalls WISSENTLICH in gefährliche Gebiete gefahren sind. Ganz im Gegenteil – das Sahara-Gebiet, das von den heute glücklicherweise Befreiten bereist wurde, galt sowohl offiziell (Auswärtige Ämter) als auch inoffiziell (Reiseagenturen, Saharafahrer etc) nicht als gefährlich im Sinne von Terror, Entführung oder anderer Gewaltpotenziale. Aktuelle Reisewarnungen existierten nicht!
Aus diesem Grunde ist das meist unterstellte wissentliche Inkaufnehmen einer erheblichen Gefahr schlicht und einfach falsch. Diese Behauptung dient allenfalls zu einer äußerst fragwürdigen Manipulation der öffentlichen Meinung in Verbindung mit Desinformation.
Die Frage, ob Geiseln sich an den Kosten ihrer Rettungsaktion beteiligen sollen, wenn sie sich wissentlich (also die erhebliche Gefahr kennend) in gefährliche Gebiete oder Situationen begeben haben, würden wir wegen des generellen Charakters dieser Frage durchaus mit „ja“ beantworten.
„Eine Geiselnahme ist schlimm genug, wer so etwas überstanden hat, sollte nicht noch mit Rechnungen überhäuft werden“. Diesen Satz bejahen wir ganz eindeutig im Zusammenhang mit Geiseln, die ohne eigenes Verschulden zu solchen geworden sind – wie z.B. die „Sahara-Geiseln“.
In der HNA vom 13.09.2003 findet sich zu dem Thema ein einziger kritischer Leserbrief, der sich mit der zuvor als Umfrage getarnten Hetzkampagne gegen Menschen, „die unter Reisen etwas anderes verstehen als den täglichen Kampf um eine Sonnenliege am Pool eines All-Inclusive-Ghettos“ auseinandersetzt.
Die unsere Überzeugung offenbar teilende Leserbriefschreiberin schließt mit einer pikanten Pressenotiz am Rande: „Die australische Regierung hat wegen der Gefahr terroristischer Anschläge eine Reisewarnung für die Bundesrepublik herausgegeben. Urlaub in Deutschland – bodenloser Leichtsinn! Was nun?“
Unsere Antwort darauf ist klar: Die Sahara ist riesengroß und in vielen Regionen nicht gefährlicher als andere „beliebte“ Urlaubsziele – einschließlich Deutschland.
So waren wir im Sommer 2003 mit Freunden in Marokko und Mauretanien unterwegs – unbeschadet aber um etliche schöne Erfahrungen reicher.
Heide Roll
Frank Kresse